Scham und Autoimmunprozesse – Wenn der Kampf gegen uns selbst im Körper weiterwirkt dem Leben
Es gibt eine tiefe Sehnsucht, das Leben wirklich zu berühren – und gleichzeitig eine ebenso tiefe Angst, dass es uns zu nah kommt. Wir spüren das Rufen nach mehr, nach Er-Leben, nach echter Begegnung mit der Welt. Doch zugleich gibt es einen Teil in uns, der sich sträubt, der sich zurückzieht.
Denn das Leben in seiner ganzen Fülle ist viel. Es ist laut und leise zugleich. Es ist wild, es ist sanft, es dringt in uns ein und umhüllt uns zur gleichen Zeit.
Doch was, wenn wir diese Nähe nicht kennen?
Was, wenn Penetration – körperlich oder emotional – nicht ein sanftes Durchfluten war, sondern ein Übergriff?
Was, wenn Berührung einmal nicht Verbindung bedeutete, sondern Schmerz?
Dann kann das Leben selbst überwältigend werden. Dann kann es sich anfühlen, als würde es zu sehr drängen, zu nah kommen, zu viel wollen.
Der Körper erinnert sich – Schutz durch Erstarrung
Scham ist nicht einfach nur ein Gefühl. Scham ist eine Form der Aggression gegen uns selbst. Eine stille, beständige Kraft, die unsere Lebendigkeit unterdrückt, unsere Impulse zügelt, uns klein hält. Scham sagt: „Mit mir stimmt etwas nicht. Ich bin falsch.“ Und wenn wir lange genug mit diesem Gefühl leben, kann es tief in unser Sein einsickern – nicht nur in unsere Psyche, sondern auch in unseren Körper.
Autoimmunprozesse sind, vereinfacht gesagt, ein Angriff des Körpers gegen sich selbst. Und manchmal sind sie mehr als das – sie sind das Echo einer viel älteren Geschichte.
Wenn Scham sich in den Körper schreibt
Von klein auf lernen wir, was wir sein dürfen – und was nicht. Wie viel Platz wir einnehmen dürfen. Wie laut oder wie leise wir sein sollen. Welche Teile von uns willkommen sind und welche abgelehnt werden.
Wenn wir wiederholt erleben, dass unsere natürlichen Entwicklungsimpulse beschämt, verurteilt oder zurückgewiesen werden, kann ein tiefes Muster entstehen:
„Es ist sicherer, mich selbst zurückzuhalten.“
„Ich darf nicht zu viel sein.“
„Ich muss mich kontrollieren, damit ich nicht abgelehnt werde.“
Diese Sätze sind nicht immer bewusst, doch sie leben weiter in unserem Körper. Scham wird nicht nur gefühlt – sie wird gespeichert.
Wir ziehen uns zurück, machen uns klein, halten uns zurück – nicht nur emotional, sondern auch körperlich. Und irgendwann hält der Körper uns zurück.
Autoimmunprozesse – Der innere Kampf, der nach außen tritt
Wenn der Körper beginnt, gegen sich selbst zu kämpfen, können wir uns fragen: Wann habe ich begonnen, gegen mich selbst zu kämpfen?
Autoimmunprozesse sind nicht „nur“ eine körperliche Reaktion. Sie sind oft ein Ausdruck tief verwurzelter Selbstverneinung. Eine Manifestation des Gefühls, dass irgendetwas mit uns nicht stimmt.
Wenn wir von klein auf lernen, dass wir uns selbst unterdrücken müssen, um akzeptiert zu werden – wie lange dauert es, bis der Körper beginnt, dasselbe zu tun?
Wenn unsere Lebendigkeit immer wieder beschämt wurde – wie lange dauert es, bis unser Körper beginnt, sich selbst zu regulieren, zu unterdrücken, zu ersticken?
Autoimmunerkrankungen sind komplex und nicht monokausal. Aber wenn wir tief genug lauschen, können wir spüren, dass der Körper mit uns spricht. Dass er nicht gegen uns arbeitet, sondern für uns – indem er uns zeigt, wo wir in den Kampf mit uns selbst gegangen sind.
Das eigentliche Trauma – Die verzerrte Selbstwahrnehmung
Wenn wir an Trauma denken, denken wir oft an die Ereignisse selbst. Den Mangel an Unterstützung. Die Ablehnung. Die Beschämung.
Doch das eigentliche Trauma ist nicht das, was damals passiert ist – sondern das, was wir daraus gemacht haben.
Es sind die Verzerrungen unseres Selbstbildes, die wir aus diesen frühen Erfahrungen mitgenommen haben. Die Art, wie wir uns selbst heute noch wahrnehmen – als nicht genug, als zu viel, als irgendwie falsch.
Diese verzerrte Selbstwahrnehmung beeinflusst alles.
Wie wir unsere Gefühle erleben.
Wie sicher wir uns in der Welt fühlen.
Wie unser Körper reagiert, wenn wir uns ausdehnen, wenn wir unsere Stimme erheben, wenn wir für uns gehen.
Wenn unser tiefstes Muster ist, dass etwas mit uns nicht stimmt, dann kann das nicht nur unser Denken prägen – sondern auch die Art, wie unser Körper sich reguliert.
Wie wir die Aggression gegen uns selbst auflösen
Der Weg aus Scham und Autoimmunprozessen führt nicht über Kampf. Wir können uns nicht in Heilung zwingen.
Es geht nicht darum, die Scham zu „besiegen“. Sondern darum, die Muster dahinter zu entwirren.
Hier setzt NARM (Neuroaffektives Beziehungsmodell) an.
NARM arbeitet nicht an der Vergangenheit, sondern mit dem, was jetzt geschieht.
Es geht nicht darum, in alte Geschichten einzutauchen, sondern zu erforschen:
Was passiert in mir, wenn ich meine Lebendigkeit spüre?
Wo in mir zieht sich etwas zurück, wenn ich mich zeigen möchte?
Welche inneren Schutzmechanismen haben sich so tief in mein System eingeschrieben, dass ich sie nicht einmal mehr bewusst wahrnehme?
NARM hilft uns, aus der Selbstverurteilung auszusteigen. Zu erkennen, dass wir nicht falsch sind – sondern dass wir einst Strategien entwickelt haben, um zu überleben.
Und genau hier beginnt Heilung.
Nicht im Kampf gegen uns selbst.
Nicht im Versuch, „richtig“ zu sein.
Sondern in der liebevollen Begegnung mit dem, was in uns wirkt – ohne Urteil, ohne Zwang.
Den Körper wieder ein Zuhause sein lassen
Scham ist das Gegenteil von Verkörperung. Sie hält uns von uns selbst getrennt.
Der Weg zurück beginnt mit Weichheit. Mit der Erlaubnis, das, was in uns erstarrt ist, nicht wegmachen zu müssen, sondern zu erkennen, dass es uns einst geschützt hat.
Autoimmunprozesse sind keine Strafe. Sie sind eine Einladung.
Eine Einladung, uns selbst nicht länger als falsch zu betrachten.
Eine Einladung, mit unserem Körper in Beziehung zu treten, anstatt ihn als Feind zu sehen.
Eine Einladung, die Schichten von Scham zu entwirren und darunter wieder das zu finden, was immer da war: unsere unversehrte Essenz.
Denn es stimmt nie etwas „nicht“ mit uns.
Wir sind nicht falsch.
Wir haben nur gelernt, uns selbst so zu sehen.
Und vielleicht, ganz vielleicht – darf sich dieses Bild jetzt verändern.